Jing-Jin-Ji – Die bald größte Metropolregion der Welt

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In committed pursuit of people-centered urbanization based on city clusters […] we will step up the pace of new urbanization, make further progress in building a new socialist countryside, strive to bridge the gap between urban and rural development, and facilitate urban and rural integration.”
13th Five-Year Plan of the People’s Republic of China, Part VIII New Urbanization

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Die abendliche Skyline der chinesischen Hauptstadt Beijing, bald Teil von Jing-Jin-Ji. [Bild: Wikimedia]
Im Februar 2014 gab der chinesische Präsident Xi Jinping bekannt, dass mehrere Städte im Norden Chinas rund um die Hauptstadt Beijing (Peking) zur größten Metropolregion der Welt „Jing-Jin-Ji“ zusammenzuführt werden sollen.[1] Dieses ambitionierte Unterfangen wurde bereits im oben erwähten im 13. Fünfjahresplan des Landes festgehalten, doch was hat es damit auf sich? Heute werde ich dazu einen genaueren Blick darauf werfen.

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Rot eingezeichnet sieht man hier das Gebiet was Jing-Jin-Ji umfassen soll. [Bild: Wikimedia]
In Europa kann man sich die Größen der asiatischen Mega-Metropolen oft gar nicht vorstellen, wir sprechen hier nicht mehr von 3 oder 5 Millionen Einwohnern, sondern von 15, 20 oder gar 30 Millionen. Die derzeit größte Metropolregion bildet seit über 50 Jahren die Mutter aller Städte, Tokyo.[2] Unglaubliche 38 Millionen Menschen leben in der Region rund um die Städte Tokyo, Yokohama und Kawasaki.[3] Doch von wie viele Einwohnern sprechen wir nun im Fall von Jing-Jin-Ji? Sind es 50, 70 oder gar 80 Millionen? Weit gefehlt, es sind unglaubliche 130 Millionen. 130.000.000 Menschen sollen bald in einer Region der Größe von Rumänien leben. Höchste Zeit also, sich dieses Megaprojekt einmal näher anzusehen.

1978 startete China seine Reformen, um massiv in seine Städte zu investieren. Damals lebten von den knapp 1 Milliarden Chinesen „nur“ 171 Millionen in Städten, 40 Jahre später im Jahr 2016 sind es bereits 783 Millionen.[4] Das sind 56,8 % der 1,4 Milliarden großen Bevölkerung. Bei solch großen Zahlen ist nur verständlich, dass das Ausmaß der Städte neue Standards setzt. Dazu ein paar Beispiele/Vergleiche:

Tabelle (1) Städtewachstum zwischen 1990 und 2017:

Generated by wpDataTables

Quelle: Wikipedia (im speziellen folgende Seiten:1,2,3,4,5,6)

Shenzhen ist das beste Beispiel für die nie dagewesene Verstädterung eines Landes. Diese heutige 12 Millionen Metropole, wurde 1980 zur ersten Sonderwirtschaftszone Chinas („Shenzhen Special Economic Zone“) ernannt und erlebt seitdem einen raketenhaften Aufstieg.[5] [6] 14 der 143 im letzten Jahr gebauten Wolkenkrazter über 200 Meter sind beispielsweise dort errichtet worden – das sind 10 % des globalen Anteils. Durch massive Investitionen wird ehemalige Fischerdorf wird heute mit dem Hauptsitz von Firmen wie Huawei, TP-Link oder Gionee als das neue Silicon Valley gehandelt, dabei haben die meisten Menschen in Deutschland noch nie von dieser Stadt gehört.[7]

Der große Boom hat jedoch so gut wie seine Spitze erreicht. CNN berichtete sogar von einem leichten Bevölkerungsrückgang Beijings und Shanghais im Jahre 2017. Dieser Rückgang ist jedoch teilweise bewusst gewollt und an dieser Stelle kommt Jing-Jin-Ji ins Spiel.

Fangen wir einmal bei dem Namen an, das Jing steht für Beijing, das Jin für Tianjin, eine 15 Millionen Hafenmetropole direkt am Bohai Bay, vor dem Gelben Meer und das Ji ist die Abkürzung für die Provinz Hebei, welche sich auf die damalige Provinz in der Han-Dynastie bezieht.[8] Wichtig zu verstehen ist das es sich hierbei nicht um eine einzige große Stadt handelt, sondern einen Verbund mehrere Städte (sogenanntes „City-Cluster“), dessen Ziel es ist gegen die negativen Folgen von Mega-Metropolen, wie Luftverschmutzung, ausgelasteter Infrastruktur oder zu wenig Wohnraum vorzugehen. Die Region hat eine Größe von ca. 217.000 km² und mit der geplanten Bevölkerung 130 Mio. ergibt sich so eine Dichte von 602 Einwohner pro km², das entspricht etwa der Bevölkerungsdichte von Wolfsburg.[9] [10] Es wird also keine durchgängige Häuserschlucht.

Eine ganze Region wird in Stadtquartiere aufgeteilt

Beijing hat sein Bevölkerungslimit bereits auf 23 Millionen begrenzt, da es mit den massiven Folgen der Überbevölkerung zu kämpfen hat.[11] Jing-Jin-Ji soll dabei also Abhilfe schaffen und nebenbei die Wirtschaft ankurbeln. Bereits heute macht die Region 10 % des chinesischen BIPs aus und durch die Einteilung in verschiedene Bezirke soll nun Struktur kommen.[12]

Die Hauptstadt selbst soll das Zentrum für Kultur, Politik und Technologie bilden, Tianjin mit seinem Hafen soll das wirtschaftliche Zentrum mit großen Produktionsstätten werden und in Hebei sollen vor allem Wohnungen, Betriebsstätten und auch die Landwirtschaft ausgebaut werden.[13] Im April 2017 wurde zudem die neue Hightech Sonderwirtschaftszone Xiong’an gegründet, welche neben den Nicht-Hauptstadtfunktionen von Beijing, die Gesundheitsversorgung und Bildungsinstitutionen umfasst.[14] Auch die Regierung selbst hat bereits ein neues Zentrum in der Nähe von Beijing erhalten. So möchte die Regierung nach modernsten Standards, die Kernstadt entlasten, Arbeitsplätze in umliegende Regionen verteilen und auch die Umweltbelastung um 25 % reduzieren.

Ein Multi-Milliarden Projekt fordert gigantische Investitionen

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Auf dieser Grafik von Jing-Jin-Ji sieht man die Region welche mittel Highspeed Zügen in 30 Min. erreichbar sein soll. [Bild: CBRE]
Bis 2020 sollen allein 39,3 Mrd. US-Dollar in die Infrastruktur investiert werden, um Autobahnen, ein 9.500 km langes Eisenbahnnetz und ein 9.000 km langes Hochgeschwindigkeitsnetz auszubauen.[15] Zum Vergleich: Die gesamte Türkei verfügt gerade einmal über ein 12.008 km langes Schienennetz.[16] Mit dieser Investition soll ermöglicht werden in 30 Minuten von Beijing in das etwa 150 km entfernte Tianjin zu gelangen und auch von den entlegeneren Regionen in Hebei soll man so schnell wie möglich das Zentrum erreichen. Bis 2050 sollen dann nochmal 16 neue Bahnverbindungen entstehen. Selbst mit dem Auto sollen die größeren Städte innerhalb von 3 Stunden erreichbar sein. Dabei muss man bedenken, dass der Verkehr in der Hauptstadt heutzutage tagtäglich von Megastaus lahmgelegt wird.

Doch nicht in Schienen und Straßen wird investiert, auch der zweite internationale Flughafen von Beijing wird derzeit gebaut. Der sogenannte „Beijing Daxing International Airport“ wird über 100 Million Passagiere pro Jahr befördern und noch bis Ende des Jahres, nach gerade einmal fünf Jahren Bauzeit, eröffnen.[17] Um das gigantische Ausmaß von Jing-Jin-Ji erahnen zu können hilft es vielleicht zu erwähnen, dass der „Beijing Capital International Airport“ (also der erste Flughafen von Beijing) nach dem Passagieraufkommen bereits der zweitgrößte Flughafen der Welt ist.

Auch das Ausland zieht das Megaprojekt an, so haben unter anderem bereits 1.200 deutsche Firmen in Jing-Jin-Ji investiert. [18] Es verwundert also nicht, dass China seinen Markt sogar noch etwas weiter für ausländische Investoren öffnen will, auch wenn es historisch gesehen ein mutiger Schritt ist. [19]

Blick in die Zukunft – Jing-Jin-Ji ist erst der Anfang

“We will give a boost to city clusters in the eastern region; build world- class city clusters in the Beijing-Tianjin-Hebei region, the Yangtze River Delta, and the Pearl River Delta.“
13th Five-Year Plan of the People’s Republic of China, Part VIII, Chapter 33

Manch einer hat es vielleicht bereits geahnt: Jing-Jin-Ji ist bereits nicht mehr das einzige so ambitionierte Projekt Chinas. Insgesamt 19 solcher Städteregionen sollen entstehen.[21] Die drei bekanntesten davon sind wohl das Yangtze River Delta (1), das Pearl River Delta (2) und die Metropolregionen der Städte Chongqing-Chengdu (3).

  1. Das Yangtze-River-Delta ist grob gesagt das Gebiet um Chinas größte Stadt Shanghai und die reichste Region Chinas. Allein dessen BIP von über 2,4 Trillionen US-Dollar ist mittlerweile höher als das von England, Frankreich, Russland oder ganz Indien (!). 1/3 des gesamten In- und Export Chinas werden hier generiert und bis 2030 will die chinesische Regierung diese Region zu einer noch gewaltigeren Metropolregion als Jing-Jin-Ji zusammenführen.[22]
  2. Die bereits weiter oben beschrieben Stadt Shenzhen gehört zusammen mit den Städten Hong Kong, Guangzhou oder Macao zum Pearl-River-Delta. Diese zählt zu den dicht bevölkertsten Regionen der Welt und hat einen unglaublichen Wandel in den letzten 30 Jahren hingelegt. Ich empfehle hierzu eine interessante Bilderstrecke des Guardians mit Vergleichen zwischen dem 20. Jahrhundert und 2015 anzusehen. Zwar genießen die Sonderverwaltungszonen von Hong Kong und Macao heute noch ihre offizielle Selbstständigkeit, jedoch sieht der 13. Fünfjahresplan bereits vor, diese wirtschaftlich in die neue sogenannte „Guangdong-Hong Kong-Macao Greater Bay Area“ einzubinden.[23]
  3. Folgt man dem Flussverlaufs des Yangtzes von Shanghai ins Landesinnere wird man nach der weltberühmten „Drei-Schluchten-Talsperre“ in die Metropolregion der gewaltigen Stadt Chongqing gelangen. Das pulsierende Herz des dünnbesiedelten Inland Chinas, bildet mit über 30 Millionen Einwohnern auf der Fläche Österreichs die größte Metropolregion des Landes und ist so interessant, dass ich problemlos einen eigenen Artikel über sie schreiben könnte. Da diese provinzähnliche Stadt, einen Ausgangspunkt von Chinas neuer Seidenstraße bildet, ist es nicht verwunderlich, dass die Regierung besonderes Auge auf sie geworfen hat und dort mächtig investiert. Zusammen mit der Metropolregion Chengdu (bekannt vor allem für die weltweit größte Aufzuchtstation des seltenen Großen Pandas) soll sie das „Chongqing-Chengdu-City Cluster“ bilden. Anders als die meisten Städte an der Küste, steckt diese Region noch mitten im Wachstum und auch wirtschaftlich steht eine äußerst rosige Zukunft bevor, falls Chinas Plan der neuen Seidenstraße aufgehen sollte.[24] [25]

Tabelle (2) City-Cluster im Vergleich (Datenlage 2017):


Quellen: China-Trade-Research HKTD, Worldbank, Wikipedia, Countryeconomy

Ausblick

Natürlich kann auch ich nicht vorhersagen was 2030 sein wird, denn bei solch großen Vorhaben wie Jing-Jin-Ji gibt es natürlich auch Schattenseiten. So sind bei den neu aus dem Boden gestampften Städten oft zu wenig Parks und Erholungsmöglichkeiten vorhanden und die Schulen sind teilweise bereits jetzt schon überfüllt.[20] Zudem wirken die tristen und ewig gleichen Häuserfassaden zumindest auf mich sehr deprimierend. Bei diesen Punkten ist jedoch zu bedenken, dass sich alles noch im Aufbau befindet und natürlich die Konzepte noch nicht gänzlich ausgereift sind. Die nächsten Jahre und Jahrzehnte wird sich zeigen ob der Plan der chinesischen Regierung aufgeht und falls das geschieht, werden City-Cluster wohl das neue Konzept für die Stadt der Zukunft.

Als ich die Nachricht über Jing-Jin-Ji das erste Mal las, hatte ich sofort Ridley Scotts Vision des zukünftigen Los Angeles aus dessen Meisterwerk „Blade Runner“ vor Augen. Diese neuen Mega-Metropolen wie sie China derzeit plant, machen mir auf der einen Seite Angst, denn sie gleichen Molchen, in denen der Einzelne durch die schiere Größe nichts mehr bedeutet, doch auf der anderen faszinieren sie mich. Wahrlich, die Zukunft rückt immer näher.


Quellenverzeichnis
[1] https://www.saporedicina.com/english/jing-jin-ji-megalopolis/ [25.01.2019]
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_largest_cities_throughout_history [25.01.2019]
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Tokyo [25.01.2019]
[4] https://www.china-briefing.com/news/chinas-city-clusters-plan-to-transform-into-19-super-regions/ [25.01.2019]
[5] http://www.chinadaily.com.cn/business/2010-06/02/content_9925392.htm [27.01.2019]
[6] https://shenzhenshopper.com/1031-photos-of-shenzhen-from-1980-to-now.html [27.01.2019]
[7] https://www.information-age.com/shenzhen-next-silicon-valley-123471169/ [27.01.2019]
[8] https://www.saporedicina.com/english/jing-jin-ji-megalopolis/ [25.01.2019]
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Jing-Jin-Ji [27.01.2019]
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfsburg [27.01.2019]
[11] https://www.theguardian.com/cities/2018/mar/19/plan-big-city-disease-populations-fall-beijing-shanghai [27.01.2019]
[12] https://www.china-briefing.com/news/the-beijing-tianjin-hebei-integration-plan/ [27.01.2019]
[13] https://www.saporedicina.com/english/jing-jin-ji-megalopolis/ [25.01.2019]
[14] http://dusseldorf.china-consulate.org/det/zgyw/t1547406.htm [27.01.2019]
[15] https://www.china-briefing.com/news/the-beijing-tianjin-hebei-integration-plan/ [27.01.2019]
[16] https://www.laenderdaten.de/verkehr/schienennetz.aspx [27.01.2019]
[17] https://en.wikipedia.org/wiki/Beijing_Daxing_International_Airport [27.01.2019]
[18] http://german.china.org.cn/txt/2018-05/11/content_51227320_2.htm [27.01.2019]
[19] https://rp-online.de/wirtschaft/china-will-markt-fuer-auslaendische-investoren-oeffnen_aid-19018555 [27.01.2019]
[20] https://www.nytimes.com/2015/07/20/world/asia/in-china-a-supercity-rises-around-beijing.html [01.02.2019]
[21] https://www.china-briefing.com/news/chinas-city-clusters-plan-to-transform-into-19-super-regions/ [25.01.2019]
[22] https://www.china-briefing.com/news/yangtze-river-delta-integration-plan/ [29.01.2019]
[23] https://www.china-briefing.com/news/the-pearl-river-delta-greater-bay-area-integration-plan/ [29.01.2019]
[24] http://www.china.org.cn/english/BAT/206175.htm [01.02.2019]
[25] http://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/neue-seidenstrasse-chinas-handelsweg-von-ostchina-nach-westeuropa-a-1201605.html [01.02.2019]

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